2006 bin ich nach Rumänien übersiedelt und habe fast sieben Jahre in Bukarest gelebt.
Anfangs habe ich mich gegen die triste Stadt gesträubt. Denn ihre Wunden von der langen sozialistischen Ausbeutung und dem diktatorischem Größenwahn lagen offen, und es fehlte ihr an Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit.
Doch als ich die Menschen kennenlernte, wurde mir klar, dass die Anmut einer jeden Stadt nicht im Glanz ihrer Paläste und Fassaden liegt, sondern in den Augen und Herzen ihrer Bewohner zu finden ist. Eine Erkenntnis, die mir bis heute nachgeht.
Ich habe Bekanntschaft mit einem Land von hinreißender Schönheit gemacht, das sich mit reicher Geschichte und ungebrochenem Lebenswillen auf die Reise in eine glücklichere Zukunft begeben hat. Dieser steinige Weg hat einigen schnellen Reichtum verschafft, aber auch verborgene Armut geschaffen, und eine Generation von Menschen hervorgebracht, die nach dem Systemwechsel auf neue Orientierung warteten. Es hat mir Zuversicht gegeben, dass inmitten aller Verwerfungen eine selbstachtende junge Zivilgesellschaft aufbrach, um mit aufrichtiger Arbeit ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
In meiner Erinnerung überlagern sich die Bilder von Glanz und Bruch, Rechtschaffenen und Betrügern, Armut und Überfluss, feinsinniger Kultur und Draufgängertum.
Ich bin dankbar für die Menschen, die mich durch die Jahre in Rumänien begleitet haben, und die ehrlichen Freunde, die mir dort mit Verständnis und großer Geduld zur Seite standen. Diesen alten Freundeskreis vermisse ich bis heute.
Außerdem habe ich in Bukarest meinen späteren Ehemann kennengelernt, die Liebe meines Lebens, der mich fortan stets begleitet hat. Über ihn bleibe ich Rumänien immer verbunden.
Rumänien
Das Land in seiner Weite zeigt sich dem Reisenden völlig anders als die Hauptstadt. Es ist voller kleiner Wunder und trägt den verblassten Charme mondäner, längst vergangener Zeiten. Sonnige Buchten und Strände entlang des Küstenstreifens am Schwarzen Meer laden zum Badeurlaub ein. Die unberührte Natur in den Bergen und Wäldern der südlichen Karpaten werden im Winter zum Paradies für Skifahrer, im Sommer findet man dort Abkühlung und unternimmt Wanderungen zu ehrwürdigen Schlössern und Burgen. Von Bukarest aus erreicht man die Schwarzmeerküste schon nach zwei Stunden Autofahrt. Etwa in der gleichen Zeit kommt man Richtung Norden in die Berge. Wir haben oft Tagesausflüge dorthin unternommen oder sind das Wochenende über geblieben, nachdem moderne Hotels eröffneten und der Autobahnausbau vorankam. Trotz besserer Straßen war der Verkehr oft grausam.
Im Osten liegen die moldawischen Klöster mit berühmten blauen Fresken und prachtvollen Ikonostasen, errichtet unter der Herrschaft von Stefan dem Großen. Mir wurde berichtet, dass der erfolgreiche Feldherr nach jedem Sieg gegen das Osmanische Reich dort eine weitere Abtei gestiftet habe. Weil zu allen Klosterkirchen umfangreiche Parks und Gärten gehören, die inmitten der schönsten Umgebung angelegt sind, haben wir in der Region einiges an Zeit verbracht.
Westlich der Karpaten findet man dann offene Landschaften, barocke Städte, mittelalterliche Festungen und traditionellen Weinbau. In den berühmten Weingütern in Recas und Prahova habe ich Weine verkostet, die aus Trauben gekeltert werden, die nur dort angebaut werden. Darunter Rotweine, denen es weder an Farbe noch an Tiefe fehlte, sodass man nach der Probierstunde im Weinkeller besser keine Pläne mehr für den Rest des Tages hatte.
Weit verstreut findet man hier die Siedlungsgebiete der deutschen Minderheiten in Rumänien. Die Siebenbürger Sachsen und die Donauschwaben waren einst große Volksgruppen, inzwischen sind sie wie viele andere zahlenmäßig ausgedünnt. Aber die Architektur der Städte mit ihren alten Wehrkirchen erinnert an ihre große Zeit, neben den rumänischen Bezeichnungen tragen sie weiter ihre deutschen Namen wie Kronstadt für Brasov, Hermannstadt für Sibiu oder Klausenburg für Cluj-Napoca. Bis heute existieren das Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium, die älteste deutschsprachige Schule in Rumänien, mit einem herausragenden Ruf, und die Allgemeine Deutsche Zeitung, die ich damals abonniert und treu gelesen habe.
Bukarest versuchte derweil in einem zittrigen Spagat das Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne zu halten und eine Klammer um alte Armut und neues Geld zu schaffen. So lebten neben glitzernden Einkaufszentren die Bauernmärkte weiter, immer mehr Einwohner zogen aus ihren engen Stadtwohnungen in frische Quartiere, die im Speckgürtel um Bukarest aus dem Boden gestampft wurden. In den schmalen Altstadtstraßen erreichten die Verkehrsstaus bald Weltniveau. Ich hatte das Glück, in einem der besseren Wohnviertel im Norden der Stadt eine gemütliche Wohnung zu finden und habe dieses Privileg genossen.
Am orthodoxen Osterfest kam jährlich die Einladung zum Mittagessen, das sich immer bis in die Abendstunden zog. Dann wurden unzählige Gänge mit opulenten Fleischgerichten aufgetischt, mein persönlicher Favorit waren die Sarmale, köstliche Kohlrouladen, mit Hackfleisch gefüllt und mit saurer Sahne und Polenta serviert, dazwischen immer allerlei Schnäpse, die im Kampf gegen die fetten Speisen halfen. Das Essen war wichtig, aber die gesellige Runde, in der erzählt und gelacht wurde, manchmal mit vollem Mund und fettigen Fingern, wie am großen Küchentisch, die Heiterkeit und Lebensfreude, sie haben sich in meiner Erinnerung tiefer eingegraben als die Nationalspeisen.
Die Rumänen sind ein stolzes und frohsinniges Volk, das in schweren Zeiten gelernt hat, unabhängig von Besitztümern seinen Lebensmut zu erhalten. Neben der romanischen Sprache wird auch an der mediterranen Mentalität der Einfluss der alten Römer erfahrbar, wenngleich sich die Herkunft der Rumänen von den Drakern ableitet. Jahrhundertelang letzter Vorposten an der Grenze zum Osmanischen Reich und durchzogen vom damals wichtigsten Handelsweg zwischen Europa und dem Orient, hat sich zum Schwarzen Meer hin nahöstlicher Einfluss in der Kultur niedergeschlagen. Der Westen des Landes war im 18. und 19. Jahrhundert unter österreichischer Herrschaft, Siebenbürgen und das Banat blieben bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Teil des Habsburgerreiches. Im Norden werden durch die Nachbarschaft zu Moldawien die Einflüsse des slawischen Kulturkreises sichtbar. Auf vielen Reisen habe ich erlebt, wie die Geschichte des Landes zum kulturellen Reichtum und zur Vielfalt Rumäniens beigetragen haben.
Mit über sechs Jahren in Bukarest war dies mein längster Auslandsposten, der beruflich oft anspruchsvoll und belastend war. Doch das Land und seine lebensbejahenden Bewohner haben dazu stets Ausgleich geschaffen, meist ohne großes Aufheben, mit einem unaufgeregten warmen Lächeln.
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